Die Revolte bleibt auf dem CDU-Parteitag zwar absehbar aus, ein „Weiter so!“ lässt die Union aber weiter erodieren wie die frühere Volkspartei SPD Ein Meinungsbeitrag von Stephan Werhahn, Max Otte und Ulrich Horstmann
.Selbstbild der Regierenden und Fremdbild der Wähler
Das Selbst- und Fremdbild der Regierenden passen nicht mehr zusammen. Die GroKo-Regierungsvertreter äußerten sich zwar positiv über ihre Arbeit. Die Bevölkerung vermittelte in den letzten Landtagswahlen aber eine ganz andere Sicht. Die Zufriedenheit mit der früheren Volkspartei SPD erodiert weiter. Auch die Union schwächelt zunehmend. Die beiden großen, um die Wählergunst rivalisierenden Parteien der Nachkriegszeit (die FDP war eher das Zünglein an der Waage) mit ihrer fairen Streitkultur werden verdrängt. Die radikalen Ränder werden stärker und damit auch der Haß auf die bestehende Regierung, die aus Sicht einer immer größeren Gruppe von Bürgern ihre Interessen nicht mehr ausreichend vertritt. Die sogenannte ‚Berliner Republik‘ könnte scheitern. In den neuen Bundesländern sind die Linke und die AfD jetzt schon Volksparteien.
Bürger nicht ausgrenzen
Aber Vorsicht! Die Menschen dort deswegen auszugrenzen, wäre unfair, wie dies von den Medien oft betrieben wird. Die Unzufriedenheit muss ohne ‚Wessi-Arroganz‘analysiert werden. Sie gehören zu uns, wir müssen auf sie hören, auch wenn es unbequem ist. Mit der friedlichen Beseitigung des Unrechtsstaates ‚DDR‘, eine ‚knallharte Diktatur‘ sind sie ein relevanter Seismograph für die Befindlichkeiten in Deutschland. Eine ‚DDR 2,0‘ (Max Otte) lehnen sie sicherlich ab.
Es muss ein ‚Ruck‘ durch dieses Land gehen.
Es muss ein ‚Ruck‘ durch dieses Land gehen. Dies hatte schon der frühere Präsident Roman Herzog 1997 gefordert. Seitdem ist wenig passiert. Die Rede von Roman Herzog ist dennoch hochaktuell, die Probleme haben sich nur größtenteils verschärft. Es drängt sich der Eindruck auf, das in der ‚Berliner Republik‘ das Land schlechter regiert wird als von dem beschaulichen Bonn aus (‚Bonner Republik‘). Hier war Bescheidenheit noch das Maß der Dinge und nicht zuletzt beim Geldausgeben der Regierung. Die deutsche Demokratie ist wieder gefährdet. Weimar lässt grüßen. Scheitert unsere Demokratie erneut?
Scheitert unsere Demokratie erneut?
Vielleicht. Wie sagte Michael Gorbatschow noch zu Erich Honecker vor dem Fall der Mauer: “Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren.” Übersetzt und medial verbreitet wurde dies zu: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Kurz danach musste Honecker gehen. Kanzlerin Merkel könnte das gleiche Schicksal erleiden, wenn sie die Chance auf einen ehrenhaften Ausstieg verpasst. Dann gibt es keinen „Großen Zapfenstreich“ mehr, sondern üble Nachreden.Ihr Regierungshandeln wird ohnehin neu bewertet werden müssen. Einen Absturz ihrer medial noch gestützten Beliebtheit ins Bodenlose sollte sie schon aus Eigenschutzvermeiden. Klar ist leider auch: Angela Merkel hat die Partei nicht erneuert, sondern ins ‚Nirwana‘ geführt. Der Kompaß für ihre Politik scheint ihr verlorengegangen, wenn man das noch freundlich interpretieren will. Eine weitere Anbiederung an den rot-grünen Zeitgeist, der in den Medien stark zelebriert wird, könnte die CDU noch stärker als bisher spalten. Dann droht sogar der ‚totale Kollaps‘ der Partei, die maßgeblich von Konrad Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut werden. Sie kann sich nicht an Helmut Kohl messen, an Konrad Adenauer erst recht nicht. Das sind inzwischen andere Welten! Vor fünf Jahren wäre das vielleicht noch möglich gewesen, jetzt könnte sie das Aufbauwerk vieler CDU-Politiker grundsätzlich gefährden.
Konrad Adenauer wollte zu Recht ‚keine Experimente‘.
Konrad Adenauer wollte ‚keine Experimente‘. Nach der NS-Zeit schon gar nicht. Diese Lehren werden heute nicht mehr beherzigt. Angela Merkel steht nicht in der Tradition Konrad Adenauers. Adenauer war katholischer Antisozialist, sie eher eineprotestantische Sozialistin, auch wenn es schwerfällt, thematisch einen roten Faden inihrer Regierungszeit zu finden. Machterhalt war für sie sicher Trumpf! Da regierte sie wie Adenauer, er war aber nicht sozialistisch geprägt wie sie. Das macht ihn sympathisch. Er hat die Schikanen der Nationalsozialisten persönlich erleiden müssen. Daher prägte er (mit Ludwig Erhard) den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg.Beide verfügten über einen Kompaß, der sie bürgernah und demokratisch regieren ließ. Die Marktwirtschaft war für sie selbstverständlich, damals auch noch ein christliches Weltbild. Zur heutigen vertrackten Situation der CDU passt folgendes Zitat von Konrad Adenauer:
„Ich habe seit vielen Jahren immer gesagt, Gott ist eigentlich ungerecht gewesen; er hat der menschlichen Dummheit keine Schranken gesetzt, wohl aber der menschlichen Klugheit“.
Die Lage war noch nie so ernst, das sagte der ‚Alte‘, wie man ihn durchaus anerkennend nannte, damals häufig. Jetzt ist sie es wirklich. Es steht viel auf dem Spiel. Die Bürger fühlen sich entfremdet. Die Regierenden sind verunsichert. Zur Absicherung, ob unsere führenden Politiker noch den Bürgerwillen repräsentieren, sollten möglichst schnell eine Neuausrichtung erfolgen. Dieses Land braucht wieder eine klare Führung, die wir vor allem Friedrich Merz zutrauen.
Parteitag in Leipzig ohne Erneuerungsimpuls
Der Parteitag der CDU in Leipzig wird voraussichtlich zeigen, dass die Delegierten vorerst eine grundlegende Erneuerung sowohl der Regierungsarbeit als auch der Partei ablehnen. Es gilt eher ein „Weiter so!“. Es geht um Pfründe und um die Angst vor den Wählern. Lieber noch zwei weitere Jahre den Abgeordnetenstatus genießen und auf bessere Zeiten hoffen. Die CDU-Führung hat sich – getrieben durch die mitregierende SPD und der nach Demoskopen stärker werden Grünen rot-grünen Themen immer mehr geöffnet. Dann wählen viele lieber gleich das Original. Der neue grüne ‚Heiland‘Robert Habeck könnte mit Unterstützung unserer Medien ins Kanzleramt gehievt werden. Vielleicht auch Annalena Baerbock, die noch mehr Stimmen auf dem Parteitag der Grünen in Bielefeld erhielt. Arme handlungsunfähige CDU! Sie könnte Juniorpartner der Grünen werden, wenn sie nicht zu ihrer alten Stärke zurückfindet. Einem fairen Merkel-Kritiker wie Wolfgang Bosbach hätte man in der CDU mehr Gehör schenken müssen. Im Sommer 2015 sagte Friedrich Merz (CDU): „Wenn Wolfgang Bosbach und ich früher in der Bundesregierung Verantwortung gehabt hätten, hätte es die AfD in dieser Form nicht gegeben.“
Die CDU hat sich ihres Markenkerns beraubt
Das ist u.E. plausibel. Die CDU hat sich ihres Markenkerns beraubt. Viele liberal-konservativ-bürgerliche Wähler fühlen sich nicht mehr repräsentiert. Eine Regierungschance wird nur noch mit den Grünen gesehen. Das ist kein „Ruck“, sondern der Weg zu einer ökosozialistischen Lenkung, die antibürgerlich ist und die Konsumentenfreiheit zur Farce werden lässt. Ludwig Erhard hätte sich sicher im Grabe herumgedreht. Soweit zur CDU. Aber: Die SPD-Führung scheut ebenfalls den Bruch der Groko, sogar noch stärker als die Abgeordneten der CDU. Auch sie müsste das Votum der Wähler fürchten. Trotz vermeintlicher neuer soziale „Errungenschaften“ wie jetzt die Grundrente laufen ihnen die Wähler davon.
Drei Faktoren sind für uns besorgniserregend:
Dass Vertrauen in Staat und Regierung sinkt besorgniserregend.
So sahen nach dem Institut für Demoskopie in Allensbach 2019 nur noch
– 57% der Befragten die politische Stabilität (2015: 81%),
– 51% das politische System (2015: 62%) und
– 26% die Qualität der Regierung (2015: 49%) als eine Stärke Deutschlands an.
Das sind Verschiebungen, bei denen man nicht weiter zur Tagesordnung gehen und sich auf Parteitagen gegenseitig beklatschen kann. Das erinnert dann fast schon an die Endzeit der DDR, als die Nomenklatura die Befindlichkeiten der Bevölkerung gar nicht mehr ernst nahmen und durchregierten. Für Honecker galt noch vor dem Mauerfall 1989:
„Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“
Sozialistische Parolen ersetzten zunehmend Volksnähe, die heute in den Medien oft als populistisch diffamiert wird.
Diskussionen um die Meinungsfreiheit
Sehr irritierend ist auch, dass fast zwei Drittel der Bürger überzeugt sind, man müsse heute „sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“. Das ist ein Alarmsignal. Die Uhren stehen bei solchen Befindlichkeiten in der Bevölkerung ohnehin bereits „5 vor 12“. Da reicht es nicht, wenn die Kanzlerin dazu bemerkt: „Aber die Debatte läuft ja so, dass ein sogenannter Mainstream definiert wird, der angeblich der Meinungsfreiheit Grenzen setzt. Doch das stimmt einfach nicht“. Wer ihr gutes Verhältnis zu den wichtigsten Medienvertretern kennt, denkt dabei vielleicht sofort an die Devise des britischen Hosenbandordens: ‚Honi soit qui mal y pense‘ (Wehe dem, wer schlecht darüber denkt).
Die Negativzinsen, die die Sparer mehr und mehr verunsichern
Zunehmend tiefer gesetzte Negativzinsen machen es immer unattraktiver, zu sparen. Für das angesparte Geld keine Zinsen mehr zu bekommen, verunsichert die Bürger zu Recht zutiefst. Das sind enteignende Eingriffe, die die inländischen Sparer auf Dauer nicht hinnehmen werden. Auch für bargeldeinschränkende Maßnahmen, um zu verhindern, dass die Bürger das eigene Geld von ihren Konten abziehen, fehlt der Konsens in der Bevölkerung. Auch rechtlich sind die bereits erfolgten bürgerfeindlichen geldpolitischen Schritte umstritten. Wenn sich dann auch noch die Staatsaktivität ausweitet, weil sich die Regierung vermeintlich kostenfrei verschulden kann, verliert der letzte Bürger den Glauben an die Redlichkeit der Politiker.
Die Führung ist selbstgefällig und zufrieden
Die Unruhe in der Union nach vierzehn Jahren Kanzlerschaft Merkel (davon zehn mit großen Koalitionen aus Union und SPD) wächst. So ist nach Friedrich Merz „das gesamte Erscheinungsbild der Bundesregierung“ „grottenschlecht“, die „Untätigkeit und die mangelnde Führung“ Merkels habe sich seit Jahren wie ein Nebelteppich über das Land gelegt. Die meisten Wähler der Union wünschen sich nach einer neuen Umfrage Friedrich Merz als Kanzler. Der Verlierer bei der Kampfabstimmung um den Parteivorsitz erfreut sich steigender Beliebtheit, vielleicht auch gerade deswegen, weil er für die Schwäche der Regierungsarbeit nicht in Mithaftung gezogen wird.Friedrich Merz steht mit seiner Kritik nicht allein, u.a. auch Roland Koch meldete sich wieder zu Wort. Inzwischen sind bei Auftritten von Friedrich Merz bereits Kanzlerrufe zu hören.
Anbiederung an die konkurrierenden grünen und roten Parteien
Die Verschiebung der Union von konservativ-bürgerlichen Milieus zu sozialistischen Positionen, die von Teilen der SPD, den Grünen und vor allem der Partei ‚Die Linke‘ vertreten werden, haben Wählerpotential für die AfD geschaffen, darauf wies auch Friedrich Merz hin. „Mich treibt um, dass wir so viele Wähler an die AfD verlieren – bei der Bundestagswahl 2017 war es über eine Million. Das sind nur zu einem kleinen Teil unangenehme rechte Typen. Die meisten sind wertkonservative, liberale Leute, die von der CDU tief enttäuscht sind, weil sie weder Linie noch Führung erkennen“.
Zunächst profitierte die 2013 gegründete AfD von der verfehlten Eurorettungspolitik. Eher liberale Kritiker fanden in Prof. Bernd Lucke ihren wissenschaftlich fundierten Erneuerer einer Geld- und Wirtschaftspolitik, die inzwischen immer weniger den Interessen der sparenden Bürger dient. Dann kam der ‚Turbo‘ für die bislang eher elitäre Randgruppenpartei, die Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Kanzlerin Angela Merkel hattemit mehreren Selfies mit Flüchtlingen und dem Satz „Wir schaffen das“ großzügige Aufnahmebereitschaftssignale in alle Welt gesandt. Die von der Kanzlerin getroffene Entscheidung stieß auf rechtliche Bedenken und spaltete Europa. Sie steht in deutlichem Kontrast zu Angela Merkels Rede auf dem 17. Bundesparteitag der CDU am 1. Dezember 2003 in Leipzig: „Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken, nur weil wir im Zusammenhang mit der Zuwanderung auf die Gefahr von Parallelgesellschaften aufmerksam machen. Das, liebe Freunde, ist der Gipfel der Verlogenheit, und eine solche Scheinheiligkeit wird vor den Menschen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Deshalb werden wir auch weiter eine geregelte Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung fordern.“
Jetzt äußert sich Angela Merkel bekanntermaßen ganz anders und die AfD hat ihre früheren Positionen bei der Migrationsfrage weitgehend übernommen. Dies ist nicht nur eine ‚Sozialdemokratisierung der CDU‘, das ist eine Kehrtwende wie ihrüberraschender Ausstieg aus der Kernenergie 2011 und die Abschaffung der Wehrpflicht. Der inländische Verteidigungsbeitrag entspricht seit Jahren nicht den Nato-Verpflichtungen. Deutsche Politik wird international unberechenbarer.
Schlecht sieht es auch bei anderen Feldern aus, die marktwirtschaftlich wieder zu erneuern wären. Die EZB-Geldpolitik ist inzwischen umverteilend und enteignend. Die Rentensysteme sind reformbedürftig. Aktien sind besser als Sparbücher, das müsste in Zeiten der Negativzinsen jeder merken. Friedrich Merz kam mit seinen Vorschlägenwieder der Idee des Aktiensparens von Ludwig Erhard nahe.
Rückkehr zu den Wurzeln der Partei
Friedrich Merz kann die CDU wieder zu ihren Wurzeln führen und Inhalte vor Machterhalt setzen. Das wäre wichtig, denn der Kurs von Merkel und ihren Unterstützern ist eine Anbiederung an die konkurrierenden grünen und roten Parteien. Friedrich Merz würde den demokratisch wichtigen Parteienwettbewerb wiederbeleben. Er gehört zurück in die Politik, im Idealfall als neuer Kanzler dieser Republik. Er hat den ordnungspolitischen Kompaß nie verloren. Die Parteispitze sollte ihm das Vertrauen schenken, das er bei ihren Wählern längst hat. Mit einem guten Team hätte Friedrich Merz die Chance, die CDU zu erneuern und damit Hayeks Warnung zu beachten, Sozialisten zu viel Zugeständnisse zu machen. Mit einer neu profilierten CDU mit Friedrich Merz als liberal-konservativen Anhänger der Marktwirtschaft hätten wir eine Chance zur Erneuerung. Wir brauchen dringend eine überzeugende Führung. So kann es nicht weitergehen, wenn das Land stabil und mit Rückendeckung der eigenen Bevölkerung geführt werden soll.
Institut Europa der Marktwirtschaften ist Gründer und Direktor des “Instituts Europa der Marktwirtschaf-ten”, Enkel Konrad Adenauers und Mitautor beim Buch ‚SOS Europa‘.
Prof. Max Otte ist langjähriges Mitglied der CDU und Fondsmanager. Er leitet dasInstitut für Vermögensentwicklung und hauptberuflich als tätig
Dr. Ulrich Horstmann ist Vorstand im Institut ‚Europa der Marktwirtschaften‘, Buchautor und Publizist (u.a. „SOS Europa“, aktuelles Buch: „Digitale Knechtschaft“).