Kernenergie vor einer Neubewertung

Nach dem beschleunigten Atomausstieg und der gestiegenen Energieabhängigkeit bei Öl und Gas von Russland ist die Energieversorgung in Deutschland nicht mehr sicher 

Friedliche Nutzung der Kernenergie

In der frühen Nachkriegszeit gab es noch keine nennenswerten Bedenkenträger bei der friedlichen Nutzung der Möglichkeiten der Kernenergie. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer setzte sich dafür ein. Franz Josef Strauß spielte dabei eine Schlüsselrolle. Am 6. Oktober 1955 wurde ein Bundesministerium für Atomfragen gebildet, das er leitete. Der technologische Rückstand gegenüber dem Ausland konnte schnell aufgeholt werden. Bereits Ende der 50er Jahre begann der Bau von Kernkraftwerken in Deutschland, der in den Folgejahren immer mehr ausgeweitet wurde. 1969 wurden die Kompetenzen von Siemens und AEG gebündelt und die Kraftwerk Union, kurz KWU geschaffen. 1977 wurde Siemens Alleinaktionär der Gesellschaft. Das Geschäft boomte. Bis Ende der 80er Jahre wurden – bei wachsendem innenpolitischen Widerstand – noch weitere Kernkraftwerke in Deutschland errichtet. Durch den deutlichen Kapazitätsausbau lag der Anteil der Kernenergie bei der Stromerzeugung bei rund einem Drittel zur Jahrtausendwende, 2020 lag er nur noch bei gut 11%.

Der wirtschaftliche Erfolg Westdeutschlands fußte auch auf einer vorausschauenden Energiepolitik, die der Versorgungssicherheit oberste Priorität einräumte. Deutsche Kernkraftwerke galten im internationalen Maßstab als technisch besonders ausgereift. Es gab keinen größeren Störfall in Deutschland.

Die Grünen und die erste rot-grüne Regierung begannen mit dem Ausstieg aus der Kernenergie,… 

Vor dem emotional geführten Kampf der Grünen mit dem Schlachtruf „Atomkraft – Nein Danke!“ gab es eine breite Zustimmung über alle Parteien hinweg. Auch in der SPD setzte man auf Kernkraft. Die sozialdemokratisch-liberale Regierungskoalition setzte Maßstäbe beim Ausbau der Kernenergie, verschärft in der Ölkrise im Jahr 1973. Willy Brandt und Helmut Schmidt wollten sie mit dem Neubau von 40 Reaktoren überwinden. Die Kritik an der Kernkraft blieb lautstark und fand dann auch Berücksichtigung: Mit dem sogenannten Atomkonsens, der Vereinbarung vom 14. Juni 2000, der rot-grünen Bundesregierung (Kabinett Schröder I) wurde die Nutzung der bestehenden Kernkraftwerke zeitlich begrenzt und keine Neubaugenehmigungen mehr erteilt.

… der nach dem Unfall in Fukushima 2011 noch beschleunigt wurde

Dann kam noch eine weitere Zäsur, die das „Aus für die Kernkraft“ in Deutschland besiegelte. Sie blieb weltweit ein fast einmaliger Vorgang (die übrige Welt setzt weiter auf die Kernkraft). Nachdem zuvor noch Laufzeitverlängerungen vereinbart waren, wurde der Unfall in Fukushima (Japan) zum Anlass genommen für eine komplette Kursänderung im März 2011. Kritisiert wurde auch die Art dieser plötzlichen Kehrtwende – sie wurde ohne genauere Prüfung von oben verordnetet. Der Beschluss über die Laufzeitverlängerung wurde für drei Monate „ausgesetzt“ und dann folgte einen Tag später die Mitteilung, dass die sieben ältesten Reaktoren in Deutschland während des dreimonatigen Moratoriums sogar abgeschaltet werden sollten. Dieser neue beschleunigte Ausstieg wurde weitgehend „alternativlos“ durchgezogen und durch eine erneute Novellierung des Atomgesetzes fixiert.

Neue Alternativtechnologien gefragter denn je

Der Ukraine-Krieg hat die inländische Abhängigkeit von bezahlbarer und sicher lieferbarer Energie wieder deutlich gemacht. Kohle und Gas sind Übergangstechnologien. Sie sind auch durch ihre CO2-Emissionen nicht gut vorzeigbar. Schließlich sind auch die natürlichen Vorkommen längerfristig erschöpft. Kernkraft ist unter bestimmten Bedingungen ESG-konform: Bei der EU weit vorgesehenen Taxonomie wird sie als nachhaltig eingestuft, wenn es einen Endlagerungsplan für radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 gibt.

Auch wenn diese Regelung der EU-Kommission den deutschen Grünen ‚Schweißperlen‘ bereitete, hat sich die EU damit zu Gunsten der Kernkraft entschieden und folgt hier vor allem der französischen Sicht. Wir teilen diese Sicht. Auch die Betriebskosten dürften bei neueren Kernkraftwerken weniger als bisher eine Rolle spielen. Die Radioaktivität wird schneller abgebaut sein. 

Die Kernkrafttechnologie von heute ist mit der vor Jahrzehnten ohnehin nicht mehr vergleichbar.  Fortschritt durch eine immer bessere Technik ist möglich. Insbesondere führt die „inhärente Sicherheit“ neuerer Konstruktionen dazu, dass äußere Sicherheitsaufwendungen entbehrlich werden. Bei den heute üblichen Leicht-, Druck-, Siedewasserreaktoren entfallen etwa 2/3 der Errichtungskosten auf die Sicherheit. Daher ist mit einer deutlichen Verbilligung bei den inhärent sicheren Exemplaren zu rechnen. 

In Anbetracht der Notwendigkeit, sich von russischen fossilen Energieträgern strategisch unabhängig zu machen, sollten auch die spezifischen systemimmanenten Eigenschaften und die zügige praktische Anwendung des Jülicher Hochtemperatur Reaktors / Kugelhaufen-Reaktors geprüft werden. Er wurde in NRW mit ca. 8 Mrd. DM an Steuermitteln entwickelt. Das Kernkraftwerk THTR-300 in Hamm- Uentrop wurde 1989 stillgelegt. 

Es gibt weitere Vorteile. Bei einem Kugelbett-Reaktor würde ein Angriff von außen dazu führen, dass der Reaktor „einschläft“, weil der Thorium Brennstoff in Keramik Kugeln eingeschlossen ist. Das ist auch der Grund, warum die Entsorgung gelöst ist. Er produziert auch nicht nur Strom, sondern auch industrielle Prozesswärme und ist damit besonders umweltfreundlich. 

Effizientere, sichere und umweltfreundlichere Kraftwerke sollten auch in Deutschland wieder eine Chance haben, langfristig könnte auch die Kernfusion unser Energieproblem effizienter als bisher lösen. 

Fazit und Ausblick

Frankreich setzt weiter auf die C02-vermeidende Kernkraft und sichert sich einen Energiekostenvorteil, der den Wettbewerb zu Lasten Deutschlands verzerrt. Die hohen Kosten für die Energiewende sind vor dem Hintergrund der Energieabhängigkeit von Russland, die mit dem Ukraine-Krieg stärker in den Vordergrund rückte, nicht mehr hinnehmbar. Energie, die bezahlbar und sicher ist, wird zu Recht, auch von Seiten der Wirtschaft gefordert. Deutschland und Frankreich sollten energiepolitisch enger zusammenarbeiten. Die Nutzung der Kernenergie sollte auch von deutscher Seite wieder technologieoffen und nicht ideologisch geprüft werden. 

Mini-Reaktoren werden in der EU schon breit diskutiert, insbesondere in Frankreich will man sie bauen. Ebenfalls in England von Rolls Royce. Chancen bieten unseres Erachtens der bereits entwickelte Hochtemperatur Reaktor / Kugelhaufen-Reaktor und ggfls. langfristig auch Dual Fluid Reaktoren. 

Wind- und Sonnenenergie werden zusammen nicht ausreichen. Eine nachhaltige Energiepolitik, die auch unter Umweltschutzaspekten vertretbar ist, sieht anders aus. Ohne Kernkraft wird die Dekarbonisierung nicht gelingen.


Stephan Werhahn, Vorsitzender des IEM

Ulrich Horstmann, Vorstandsmitglied des IEM

  1. Mai 2022


1 Konrad Adenauer trat sogar bei einer Pressekonferenz am 5. April 1957 dafür ein, eine atomare Bewaffnung
der Bundeswehr zu prüfen, siehe Erinnerungen 1955-1959, S. 296.
2 laut Statista.
3 Unfälle im Ausland wie in Harrisburg, Tschernobyl und später Fukushima lösten eine große Betroffenheit in
Deutschland aus und trugen nicht zuletzt durch deren politische Instrumentalisierung zum Ausstieg bei.
4 Vgl. Robin Alexander: Atomkraft war früher ein Teil linker Utopien, welt.de, 11.07.2008.
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