Die Rolle der Frauen in der Politik – Interview mit Dr. Louise Gräfin Schlippenbach

Interview mit Dr. Louise Gräfin Schlippenbach anlässlich Ihres 100. Geburtstages am 6.Februar 2022

Sehr geehrte Gräfin Schlippenbach,

Sie blicken auf erfüllte 100 Jahre Teilhabe an Politik, Medien und Wirtschaft zurück.

Sie waren Journalistin, Pressereferentin in der Presseabteilung von Ludwig Erhard, und beteiligen sich heute nach wie vor am öffentlichen Diskurs durch Vorträge, Diskussionen und viele Einzelgespräche.

Wir möchten gerne mit Ihnen die Frage der „Rolle der Frauen in der Politik“ beleuchten, wie war es in Ihrem Leben und könnte es für jüngere angehende Politikerinnen und Wirtschaftlerinnen besser werden, in der aktiven Politik und Öffentlichkeit mit ihren Anliegen mehr Gehör und Aufmerksamkeit zu finden.

Dazu möchten wir Ihnen folgende 11 offene Fragen stellen:

  1. Was hat Sie zu Ihrem Leben motiviert?

Die Erziehung meines Vaters, liebevoll aber unnachgiebig: Selbstdisziplin, Pflicht, beste Noten, spielerisches Lernen am Familientisch, selbstbewusstes Mitdiskutieren schon von Kind an, keine Prüderie, musikalisches Elternhaus. Geschlechterneutrale Bildung. Beste Examina in vorgeschriebener Semesterzahl. Danach eigene Verantwortung.

So waren mir die Schranken für Frauen nicht bewusst. Ich wollte in die Welt nach oben, durch eigene Leistung.

  1. Ein Studium für Frauen war 1940 noch nicht so häufig?

Mehr als Sie denken. Von uns 16 Abiturientinnen haben 14 studiert mit guten Abschlüssen: Jura, Medizin, Mathematik, Musik, etc. Sie alle heirateten, danach wurde der Beruf nicht mehr ausgeübt, dafür die Rolle der Hausfrau und Mutter. Das“ Familienoberhaupt“, der Mann, hatte die Familie alleine zu ernähren. Berufstätige Ehefrauen waren „Rabenmütter“. Trotzdem schon damals mein Vater: „Meine Tochter studiert und gestaltet sich dann ihr Leben selber, in eigener Verantwortung. Heirat nicht ausgeschlossen.“

  1. Wie erging es Ihnen als Frau im Studium?

Im BWL-Studium an der Frankfurter Universität waren wir nur 3 Frauen und wurden „übersehen“, auch noch von einigen Professoren herausgemobbt durch die Wahl peinlicher Themen oder bei guten Abschlüssen: „wie haben Sie das geschafft, mit Röckchen hoch? Es wurde auch behauptet, „Frauen hätten ein kleineres Gehirn“ etc. als Männer. Nach meinem kaufmännischen Staatsexamen im Frühjahr 1944 gab der Staat nur ein Jahr Frist für die Promotion, „danach drohte der totale Kriegseinsatz“, das hieß eventuell auch Front.

Marburg a.d. Lahn war die Lösung, in der Hoffnung auf weniger Bombenangriffe, um intensiver arbeiten zu können; Doch weit gefehlt, Tag und Nacht Bomben – Sirenen, und für mich kein Doktorvater. Es gab keine betriebswirtschaftliche Fakultät, also alleine auf Themensuche.

Als die Dissertation fertig war im Februar 1945, wollte Prof. Walb Uni Köln/ Marburg mich nicht, als Frau als Doktorvater annehmen. Doch dann nach kurzem Durchblättern: “Das allerdings ist eine Dissertation, wie ich sie mir vorstelle, Ich gebe Ihnen für die Arbeit eine 1/2 und einen mündlichen Prüfungstermin bei mir“. 6 Wochen später war der 2. Weltkrieg zu Ende.

50 Jahre später bekam ich für diese Dissertation, „Die Gewinn- und Verlustrechnung der AG „eine neue Urkunde bei einer großen Feier in der schönen alten Aula in der Marburger Universität. Mit Fernsehen, Musik, Blumen. Der Rektor und zwei Dekane saßen neben mir. Jeder hielt eine Laudatio, Der anwesende hessische Ministerpräsident beglückwünschte mich. Anschließend ein Empfang. „Der goldene Doktor“

Auch das gab und gibt es von Männern für Frauen, wenn sie sie überzeugen.

  1. Wie erging es Ihnen im Beruf?

Mein Berufsweg 1946 begann wieder mit der Unterstützung eines Mannes. Prof. Walb, wieder an der Uni Köln empfahl mich Viktor Aggartz, Erster Direktor der „Verwaltung für Wirtschaft“, der Vorläuferin des heutigen Bundeswirtschaftsministeriums in Hoechst am Main. Er versetzte mich in die Hauptabteilung „Preis“ des Amtes, Dort bekam ich bald den Auftrag, die Preismeldestelle aufzubauen und zu leiten, ein durch und durch planwirtschaftliches Referat. Als Ludwig Erhard am 2. März 1948 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft wurde, löste er nicht lange danach mein Referat auf. Begründung: „So etwas brauchen wir jetzt nicht mehr. Bei mir werden keine Preise mehr festgesetzt. Vielmehr werde ich die Preise sukzessiv freigeben, damit sie sich am „freien Markt“ nach Angebot und Nachfrage von selber einpendeln“

Das war der Durchbruch von der Staats- zur „Marktwirtschaft“!

Ich wurde übernommen in Erhards Presseabteilung als Pressereferentin, bis der Rechnungshof kam und allen im Amt tätigen akademischen Frauen nahelegte, sich in die Inspektoren Laufbahn zurückzuziehen, um männlichen Karieren Platz zu machen. Ich kündigte.

  1. Wie waren Ihre weiteren beruflichen Kontakte zu Ludwig Erhard?

Sie setzten sich fort, als ich 1950, Wirtschaftsredakteurin des Bonner Hauptstadtbüros der „Welt“ und Mitglied der „Bundespressekonferenz „wurde. Daraus ergab sich eine enge Zusammenarbeit mit Ministern, Abgeordneten, Diplomatie und der „Parlamentarischen Gesellschaft“.

Mein späterer Weg führte mich in die Konzernleitung der 1966 viert größten Assekuranz-Gruppe Westdeutschlands und brachte mir 1972 die Auszeichnung für den Vorstand.

  1. Was raten Sie jungen Frauen für ihren Berufsweg?

In erstaunlich kurzer Zeit haben sich seit 1963 die Frauen das mittlere Management erobert. Der Durchbruch durch die gläserne Decke ist auf bestem Weg. Was soll man da noch raten?

Sie haben gezeigt, dass der Schlüssel zum Erfolg ein dorniger Weg ist: Umfassende Bildung, große Arbeitsleistung, Durchsetzungswillen und niemals weibliche Empfindsamkeit, so meine Erfahrung.

Den würdigeren Weg dazu, sei so meine ich, wäre die eigene Durchsetzungskraft und nicht die Quote. Es mag länger dauern zu überzeugen, aber danach werden Männer meistens faire Kollegen.

  1. Kind oder Familie?

Diese Frage ist allein und privat zu beantworten und unterliegt keiner öffentlichen Kritik.

Die bisherige Entwicklung allerdings zeigt die Tendenz, und damit auch auf das steigende Angebot bezahlter häuslicher Dienstleistungsberufe am Arbeitsmarkt. Gegenwärtige politische Engpässe ausgenommen.

  1. Sie waren als junge Frau (mit 16J, 1938) auch im Ausland, z.B. in Somerset. Wie haben sie das empfunden, auch bzgl. der Rolle der Frauen in der Gesellschaft?

1938 ging es den Frauen in England ähnlich wie bei uns. Wegweisend für mein Leben war die weltoffene Gesellschaft in England mit ihren gepflegten internationalen Manieren.

  1. Sie haben neben unserem gemeinsamen IEM-Buch “Erhard jetzt” auch eine eigene Biographie geschrieben. Was war dafür ihre Motivation?

Die Erkenntnis bei der Goldenen Promotionsfeier in Marburg 28.3.1995, dass die jungen Leute ein sehr starkes Interesse an der Nachkriegszeit hatten.

  1. Wie haben sie die Adenauer-Ära erlebt? War es für sie – auch als Frau – eher eine Phase des Aufbruchs oder eine der “Restauration”? 

Als Aufbruch in eine neue Zeit. Den “Durchbruch von der Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft” durch Ludwig Erhard. Aus tiefstem Elend nach dem 2. Weltkrieg brachte es uns ein Wohlstand, den alle Welt bestaunte.

  1. Gibt es eine „Goldene Lebensregel“, einen „Roten Faden”, die sie jüngeren Frauen mit auf den Weg geben würden?  Was würden Sie in einem Satz empfehlen?

Gleiche berufliche Chancen der Geschlechter. Den selben Marschallstab in der Tasche wie die Männer zur freien Lebensgestaltung. In Unabhängigkeit und Eigenverantwortung in einem demokratischen Leistungsstaat. Kein ungezügelter Kapitalismus, aber auch kein Sozialismus. Vielmehr eine florierende und damit auch soziale Marktwirtschaft mit dem eigenverantwortlichen gleichberechtigten Bürger im Focus. Erhards Vision war es, dass dieses Prinzip die Bürger friedlich zusammenwachsen lasse in Deutschland, Europa und der ganzen westlichen Welt.

 

Das Interview mit Gräfin Schlippenbach wurde im Vorwege Ihres 100. Geburtstages in 2021 geführt von Christina Henrichs und Stephan Werhahn, beide im Vorstand des Institut Europa der Marktwirtschaften (IEM, https://iem-europe.com).

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