Help Ukraine, save Europe

Ein Appell für eine stabile, europäische Perspektive statt einer erneuten Zerstörung und dauerhaften Spaltung unseres wunderbaren Kontinents.

Eine neue Mauer wäre das letzte, was Europa jetzt braucht und die Ukraine erst recht nicht.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warb in seiner Rede vor dem Bundestag am 17. März 2022 für den Beitritt seines Landes zur Europäischen Union und warnte vor einer Mauer in Europa. Wir als IEM halten eine Aufnahme der Ukraine in die EU nach einer Wiederaufbauphase für unabdingbar. Gleichzeitig liegt darin eine Chance für Europa, sich endlich staatlich stabil und souverän aufzustellen, d.h. das Europa der Gründer vor 60 Jahren endlich zu vollenden.

Die aufrüttelnde Rede von Präsident Selenskyi wird ihre Wirkung hoffentlich nicht verfehlen. Es geht jetzt um die Werte, für die wir einstehen müssen.  Wir müssen auch die Frage beantworten, ob wir unsere wirtschaftlichen Interessen – bezahlbare Energie – über die Sicherung der Freiheit in Europa stellen. Wir müssen klären, wie wir die von Selenskyj angesprochene historische Verantwortung unseres Landes in seinem Sinne interpretieren oder eher nichts oder zu wenig oder zu spät tun, d.h. beim bestehenden Konflikt neutral zu bleiben oder gar unterzugehen.

Zumindest für Sicherheits- und Verteidigungsfragen hielt sich die Bundesregierung in den letzten Jahren kaum mehr für zuständig, da wir vermeintlich nur von Freunden umgeben waren. Die deutsche Blamage gipfelte in der angekündigten Lieferung von lediglich 5.000 Helmen an die Ukraine nach einem Hilferuf der Regierung, bevor der Krieg ausbrach. Es wird Wladimir Putin, falls er davon gehört hat, vielleicht zum Lachen gebracht haben. Solch eine Schwäche macht mitschuldig, denn sie wird gnadenlos genutzt. Wladimir Putin sagte angeblich, dass zur Eroberung von Berlin heutzutage die Moskauer Stadtfeuerwehr völlig ausreiche (vgl. Thomas Enders: Für eine realistische deutsche Russlandpolitik, nzz.ch, 25.01.2022). Allein der Gedanke Putins irritiert.  Recht hat er, das wir uns nicht wehren können. Schon für die Römer galt: ‚Si vis pacem para bellum‘, d.h. „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.” Heute ist Deutschland nicht nur ‚Bedingt abwehrbereit‘ (Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1962, Der Spiegel, 10.10.1962), sondern fast ‚gar nicht abwehrbereit‘.

Der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer trat da noch entschiedener auf (07.02.1952): „Nach meiner festen Überzeugung, nach der Überzeugung eines jeden Deutschen, der die Dinge unvoreingenommen betrachtet, gibt es vor dieser konsequent fortgeführten Politik des totalitären Sowjetrusslands nur eine Rettung für uns alle: Uns so stark zu machen, dass Sowjetrussland erkennt, ein Angriff darauf ist ein großes Risiko für Sowjetrussland selbst!

Damals regierte noch der Diktator Josef Stalin. Bis zum Fall der Mauer 1989 blieb Konrad Adenauers Militärdoktrin prägend, auch Schmidt und Kohl hielten mit der Nachrüstungsentscheidung daran fest. Die Energieversorgung war damals noch breiter aufgestellt. Wir waren nicht einseitig abhängig, verfügten auch noch über einen nennenswerten Beitrag von Atomkraftwerken. Deutschland und Europa waren nicht erpressbar. Die EU agierte freiheitsorientierter und bürgernäher als heute, der damalige Ostblock lieferte das abschreckende Gegenbeispiel. Der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg hatte recht, „ohne Hitler und Stalin hätte es nie eine europäische Einigung gegeben“ (Schwarzenberg: Ohne Hitler und Stalin gäbe es keine EU, diepresse.com, 28.05.2018).

Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist sicher ein Weckruf für Deutschland und Europa.

Wenn die Ukraine nicht mehr selbst über seine politische Zukunft entscheiden kann, droht eine weitere Eskalation. Putin ist jetzt der kriegsverbrecherisch Handelnde, Europa reagiert, einzelne Länder helfen und die Ukraine kämpft um ihr Überleben.

Vor allem müssen jetzt die europäischen Staaten und die NATO-Länder zusammenstehen. Das dies bislang der Fall ist und ein von Putin gewünschtes Auseinanderdividieren vermieden werden konnte, ist positiv zu werten. Das dürfte auch Putin überrascht haben. Insbesondere Deutschland ist durch seine Energieabhängigkeit vor allem beim Gas von Russland erpressbar geworden. Das erschwert eine gemeinsame westeuropäische Position.

Gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten müssen wir handlungsfähiger werden. Der Kompass für Europa muss wieder neu ausgerichtet werden. Sicherheit wird es ohne die NATO und den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner, Engländer und Franzosen in Europa nicht geben und dabei werden die USA weiter die Schlüsselrolle spielen. Die europäischen Staaten müssen sich mehr denn je auch bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen abstimmen, das sollte unter französisch-deutscher Führung in enger Partnerschaft erfolgen. Nur ein geschlossen auftretendes Europa kann die Spaltung und eine neue Mauer verhindern. Das Ziel guter westeuropäischer Politik muss es auch sein, einen zerstörerischen großen Krieg, der in einen Weltkrieg münden kann, zu verhindern. Europa muss nicht ein drittes Mal in 100 Jahren durch einen vernichtenden Krieg gehen.

Nie war die Lage so ernst, hätte Konrad Adenauer gesagt. Jetzt stimmt die Einschätzung sicher. Nur europäische Geschlossenheit hilft, Wankelmut und Streit unter Partnern wird bestraft werden. Ja, auch für die Ukraine sollte die Europäische Union schnellstmöglich offenstehen. Für sie ist jetzt jedes Zeichen der Solidarität wichtig, die Selenskyj auch eindrücklich einfordert. Auch wir Europäer tragen Verantwortung, nicht zuletzt wir Deutschen. Und wir brauchen Signale der Hoffnung.

Mit Entschlossenheit und Geschlossenheit ist auch wieder ein demokratisches Russland unter neuer Führung denkbar. Dem russischen Volke, – einem kulturell und menschlich so hochstehenden Lande -, ist wirklich eine freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie zu wünschen. Es wäre der Bevölkerung in der Ukraine und in Russland nur Friede und wirtschaftlicher „Wohlstand für alle“ zu wünschen, die seit vielen Jahrzehnten auf eine bürgernahe, korruptionsfreie Regierung warten.

Ein stabiles und zukunftsfähiges Europa braucht aber einen freiheitlichen demokratischen Kompass. Die Ukraine braucht als erstes Frieden und eine schnelle Verhandlungslösung, um die totale Vernichtung und das mörderische Bombardement auf Zivilisten zu stoppen. Das russische Volk braucht eine frei gewählte und demokratisch legitimierte Regierung, ein Ende der ewigen Lügen, Fake-News und Bomben auf benachbarte Länder.  Selenskyj ist zu einer friedlichen Übergangslösung bereit, die Perspektive auf eine Aufnahme in die EU eingeschlossen.  Putin muss sich entscheiden, es ist sein Krieg, er hat ihn vom Zaune gebrochen. Er wird in die Geschichte als furchtbarer Kriegsverbrecher eingehen, wenn er so weitermacht. Es ist unsere Aufgabe, diesen Wahnsinn und diesen mörderischen sinnlosen Kampf zu stoppen, lieber heute als morgen.

München, 17. März 2022

Stephan Werhahn, Vorstand des IEM und Enkel von Konrad Adenauer

Dr. Ulrich Horstmann, Vorstandsmitglied des IEM

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