ELYSEEVERTRAG 2: BEWERTUNG DES AACHENER VERTRAGES

Europa kann nicht mehr in kleinen Tippelschritten weiterentwickelt werden. Es muss ein Sprung nach vorne geben. Entscheidende Themen müssen voran gebracht werden: Migration, EURO und staatliche Strukturen sind ungelöste Themen, die Visionen und der europäische Zusammenhalt fehlen. Dr. Ulrich Horstmann und Stephan Werhahn melden sich zu Wort:

Was am neuen deutsch-französischen Élysée-Vertrag hakt

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Redliche deutsch-französische Bemühungen, aber ein großer Wurf wie der Élysée-Vertrag 1963 ist der neue Vertrag von Aachen nicht. Anmerkungen von Stephan Werhahn, Enkel eines der Väter des ersten Élysée-Vertrags, Konrad Adenauer, und Dr. Ulrich Horstmann.

Vor wenigen Tagen unterzeichnete Emmanuel Macron mit Angela Merkel den Vertrag von Aachen (hier der Wortlaut des neuen Freundschaftsvertrages mit Frankreich). Wer sich die Mühe macht, den Text zu lesen, stellt schnell fest, dass der Vertrag eher unverbindlich formuliert ist. 56 Jahre nach dem bahnbrechenden Élysée-Vertrag, dem grundlegenden deutsch-französischen Freundschaftsvertrag, sollte ein neues Zeichen für eine Vertiefung der freundschaftlichen Kooperation gesetzt werden. Der Vertrag von Aachen markiert aber keinen grundlegenden Neuanfang. Er ist eher eine Reaktion auf die immer spürbareren radikal nationalistischen Strömungen, die auch durch das Versagen europäischer Spitzenpolitiker ermöglicht wurden.

Macron und Merkel sind bemüht, verlieren aber die Zustimmung in ihren Ländern

Emmanuel Macron war nach seiner Wahl zum Präsidenten 2017 in Frankreich ein viel gefeierter Hoffnungsträger. Eine Erneuerung der krisengeplagten EU schien möglich. Der junge, europabegeistert wirkende ‚Senkrechtstarter‘, dem zukunftsweisende Reformen in Frankreich und der EU zugetraut wurden, erhielt 2018 bereits den Karlspreis. Inzwischen ist die Zuversicht teils verflogen und einer zunehmenden Skepsis gewichen. Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich ließen die Popularität von Macron sinken. Angela Merkel ist seit der Aufgabe des CDU-Parteivorsitzes eine Kanzlerin auf Abruf.

Es fehlt die Aufbruchstimmung wie 1963

Aus heutiger Sicht ist die Kühnheit von Konrad Adenauer und Charles De Gaulle beeindruckend. Die Reden von ihnen überzeugten nicht nur in Frankreich und in Deutschland. Europa wuchs zu einer Werte-, Kultur- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammen. Letzteres blieb bis heute in Erinnerung, der Freihandel und die Zollunion entwickelten sich zum Wirtschaftsmotor im Nachkriegseuropa. Die Freundschaft der beiden prägenden Politiker fußte auf gegenseitigem Vertrauen, ihre Auftritte glichen Triumphzüge. Das alte Europa der Erbfeindschaft und eines übersteigerten, hasserfüllten Nationalismus schien endgültig überwunden. Adenauer und De Gaulle waren anerkannte Staatsmänner, prinzipienfeste Katholiken und universell gebildet. Sie wurden getragen von einer begeisterten Bevölkerung, die es feierte, dass jahrhundealte Ressentiments überwunden schienen. Der Vertrag von Aachen löst keine vergleichbare Begeisterung aus. Die vielfältigen Krisen in Europa haben zu einer Erosion des Vertrauens geführt.

„Die Großväter (Konrad Adenauer / Charles De Gaulle) haben es aufgebaut, die Väter erhalten (Helmut Schmidt / Valéry Giscard d’Estaing) und die Enkel (Angela Merkel / Emmanuel Macron) verspielen im Verbund anscheinend das Erbe Europas“

Mehr Text heute, aber weniger Inhalt als 1963

Der Vertrag von 1963 war glaubwürdig und zukunftsweisend. Allein der Vergleich der Textlänge und des Inhalts ist überraschend. Der Vertrag von 1963 (hier als Dokument) ist deutlich kürzer, liest sich klarer und weniger allgemein floskelhaft als der jetzige Ergänzungsvertrag. Es wurde 1963 noch eine Präambel ergänzt, die die Bedeutung der atlantischen Partnerschaft mit den USA einschloss, wodurch ein allzu enger Bilateralismus zwischen den beiden westeuropäischen Kernländern Europas vermieden wurde. Während die deutsche Seite auf die USA als Partner nicht verzichten wollte, setzte Frankreich eher auf Separation von den angelsächsischen Staaten.

Der Vertrag von Aachen ist auch ein Bekenntnis, das man lange keine Fortschritte erzielte

Wichtig war bereits 1963, dass die Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik enger verzahnt werden sollte. Aus heutiger Sicht hätte da viel mehr passieren können. Im Zuge der Aufgabe der DM in den 90er Jahren unter Kanzler Helmut Kohl hätte eine deutsche Regierung im Gegenzug zur Euro-Einführung eine engere Verteidigungsgemeinschaft einfordern müssen. Damals wurde schlecht verhandelt. In der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es nicht zuletzt deswegen weiter Defizite, die sich auch bei der Flüchtlingspolitik seit 2015 zeigen. Daher sind diese zentralen Politikfelder, die eine gemeinschaftliche Führung sinnvoll erscheinen lassen, wieder Bestandteil im Vertrag von Aachen. Auf ein Neues also! 1963 begann auch der verbindliche Konsultationsmechanismus zwischen den Regierungschefs und auf der Ebene der Ministerien. Trotz zwischenzeitlicher Rückschritte ist dies per Saldo unseres Erachtens eine Erfolgsgeschichte. Die vielen, wenn auch ritualisiert erfolgten Treffen, verbesserten die Kommunikation und dürften Missverständnisse reduziert haben. 1963 sollte auch der Jugendaustausch deutlich verbessert werden. Im gleichen Jahr wurde noch das Deutsch-Französische Jugendwerk geschaffen. Hier hatten sich die damals verantwortlichen Politiker wohl mehr erhofft.

Adenauer und de Gaulle konnten es noch, Merkels GroKo nicht!

Das deutsch-französische Verhältnis leidet nicht zuletzt auch unter einen inländischen Politikversagen. Der Aachener Vertrag wirkt wie eine Pflichtübung vor dem Hintergrund eines zunehmend zerfallenden Europas (und des Westens!). Beide Politiker – Emmanuel Macron und Angela Merkel – sind angeschlagen, das Vertrauen in der Bevölkerung fehlt zunehmend. De Gaulle und Adenauer setzten dagegen die Grundlage für etwas Neues. Macron und Merkel dagegen, ein völlig ungleiches politisches Paar, bewahren im Verbund allenfalls ein schlecht gemanagtes Europa ohne echte Zukunftsvision, die vor allem die Jugend jetzt bräuchte. Macron hatte sich da mehr erhofft, deutsche Politiker können hier nicht liefern und auch nicht – bei Wahrung deutscher Interessen – erfolgreich verhandeln. Vor allem die GroKo, hier gibt Merkel gegenüber SPD-Forderungen immer wieder nach, trägt unseres Erachtens die Schuld daran, dass in der Außen- und Verteidigungspolitik mit unserem Nachbarland nicht mehr erreicht wurde. Es könnte am Ende gelten: Die Großväter (Konrad Adenauer / Charles De Gaulle) haben es aufgebaut, die Väter erhalten (Helmut Schmidt / Valéry Giscard d’Estaing) und die Enkel (Angela Merkel / Emmanuel Macron) verspielen im Verbund anscheinend das Erbe Europas.

Wichtige Zukunftsthemen bleiben unbearbeitet und ungelöst

Die aktuelle inländische GroKo-Administration versagt, es fehlt eine Vision für Europa. Das Politikversagen lässt sich nicht mehr schönreden. Europa wurde abseits von den Bürgern bürokratisch-zentralistisch weiterentwickelt. Die vielen neuen Räte erinnern an sozialistische Planifikationsvorstellungen, so wird Europa vor die Wand gefahren, der Vertrag soll davon ablenken. Wer redet in Europa noch von Ordnungspolitik? Ludwig Erhards Konzepte sind weitgehend unbekannt. Wir haben bessere Politiker verdient, die glaubwürdig ein starkes, föderales und weltoffenes Europa verkörpern. Nur Macron tritt noch europabegeistert auf. Aber auch hier ist der Schwung dahin, da seine Bevölkerung ganz andere, nämliche persönliche Zukunftsängste hat. Wenn Merkel und Macron ein vereinfachtes Steuersystem mit der Aussicht auf künftige Entlastungen, eine schnelle Angleichung von Normen (Bahnwesen etc.), den Abbau von bürokratischen Hemmnissen, eine überzeugende Digitalisierungsstrategie, einen besseren Kapitalmarktzugang für Existenzgründer sowie eine Bildungs- und Infrastrukturinitiative in Aussicht gestellt hätten, wäre der Vertrag von Aachen wohl besser angekommen.

Mehr Europa von unten wagen!

Es gibt zwar redliche deutsch-französische Bemühungen, aber ein großer Wurf wie der Élysée-Vertrag 1963 ist der neue Vertrag von Aachen nicht. Auch hier zeigt sich: Europa verheddert sich im ‚Klein-Klein‘. Eine Flut immer neuer Verordnungen stärkt die Kreativität junger Forscher und Unternehmer nicht, sie wandern bei zu viel Gängelung z.B. in die USA aus. Juristen und Beamte haben im neuen EU-Zentralismus gut zu tun, der Grundsatz der Subsidiarität bleibt weitgehend unbeachtet. Es geht auch bürgernäher. Unser Regionen-Konzept Confederatio Europea ist u.E. ein aussichtsreiches Gegenmodell (https://iem-europe.com/news/39/). In der Präambel dazu werden die dezentralen, bottom-up Strukturen erwähnt. Wir im Institut ‚Europa der Marktwirtschaften‘ setzen auf ein Europa von unten, das der Vielfalt in Europa Raum lässt. Die Verwaltung, auch in der EU, ist für die Menschen (dienend) da, und nicht umgekehrt!

STEPHAN WERHAHN ist Gründer und Direktor des “Instituts Europa der Marktwirtschaften”, Enkel Konrad Adenauers und Mitautor beim Buch ‚SOS Europa‘. 

DR. ULRICH HORSTMANN ist Vorstand im Institut ‚Europa der Marktwirtschaften‘, Buchautor und Publizist (u.a. „SOS Europa“, aktuelles Buch: „Digitale Knechtschaft“).

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