Neue Wege zur Vermeidung der Lebensmittelverschwendung

Eindrücke und Ergebnisse des EU-Bürgerforums

Die älteren unter uns sind vermutlich noch von der damals eher strengeren Erziehung geprägt. Es gab zwei wesentliche Grundsätze, die das Essen betrafen: 1. Lebensmittel schmeißt man nicht weg, wenn sie nicht verdorben sind, 2. Der Teller wird aufgegessen. Das hieß auch, man nimmt nur so viel auf den Teller, wie man auch aufessen kann.

Erzählungen aus dem Unterricht oder aus dem Elternhaus prägten sich ein. Unsere Eltern und Großelterngeneration wusste noch, was Hunger bedeutet. In der Schulzeit erlebte ich einen älteren Lehrer, der es nicht ertragen konnte, wenn einer von uns sein Butterbrot wegschmiss. Er wäre in der Kriegszeit beinahe verhungert.

Gelegentlich sind wir auch überrascht, wenn – oft jüngere Menschen – große Portionen in einem Restaurant bestellen und mehr als die Hälfte dann nicht aufessen. Das ist für uns befremdlich. Es sind oft die, so unser Eindruck, die sehr gut gebildet und weltoffen erscheinen. Das Verhalten ist auch nicht umweltbewusst, wenn man die ökologischen Kosten durch die Erzeugung mitberücksichtigt. Hinzu kommt, dass die von jungen Meinungsführern in der Szene besonders gern verwendeten Lebensmittel die Artenvielfalt bedrohen und sehr viel Anbaufläche benötigen[1]. Hier besteht die Gefahr einer Doppelmoral. Nach außen gibt man sich – wie medial vorgegeben und von Freunden erwartet – vegan und umweltbewusst, hält sich aber nicht daran.

Hunger scheint in der heutigen Zeit kein Thema zu sein. Mit dem Krieg in der Ukraine gab es aber bereits Versorgungsengpässe und Preissteigerungen. Nahrungsentzug ist wieder zu einer Waffe in der Geopolitik geworden, sie ist auch Bestandteil von Putins Machtkalkül im Kampf gegen den Westen.

Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf die aktuelle Situation.

Nach Schätzungen wird rund ein Drittel der Lebensmittel verschwendet[2]. Sie werden weggeschmissen oder gehen in der Lieferkette verloren[3].

Umso wichtiger sind Ansätze, diese Verschwendung zu vermeiden. Heiner Horstmann[4] machte beim EU-Bürgerforum zum Thema Lebensmittelverschwendung mit. Er wurde nach dem Zufallsverfahren ausgewählt und war gerne bereit, mitzuarbeiten. Das „Europäische Bürgerforum gegen Lebensmittelverschwendung“ ist eingebettet in den EU-Plan, bis zum Jahr 2050 eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Außerdem gilt dies als wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels[5].

In dem EU-Bürgerforum waren 150 ausgewählte Personen aus allen 27 EU-Staaten vertreten. Die Auswahl erfolgte (mehr oder weniger) anteilig nach der Bevölkerungszahl der Länder. Die Teilnehmer des EU-Bürgerforums kamen an drei Wochenenden zusammen, zweimal trafen sie sich vor Ort in Brüssel, einmal wurde es online durchgeführt [6].

Beim Bürgerforum gab es einerseits mit allen 150 Teilnehmern Expertengesprächen in einem großen Saal der EU-Kommission (mit Dolmetschern) sowie andererseits Kleingruppenarbeit. Bei diesen Gesprächen mit Moderatoren wurden konkrete Vorschläge erarbeitet.

Diese Gesprächskreise waren eingebettet in ein Rahmenprogramm, das zum Kennenlernen einlud. So gab es reichlich Kaffeepausen mit Kuchen, eine entspannte Atmosphäre im Hotel, insgesamt eine gute Buffet- und Stehtischatmosphäre…

Die Teilnehmer des EU-Bürgerforums waren relativ jung. Die Forenarbeit wurde mit viel Ehrgeiz von allen Beteiligten geführt[7]. Erklärtes Ziel ist es, die Wünsche und Ideen der Bürger in die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission einfließen zu lassen. Die Teilnehmer sollten mithelfen, ein Gesetz zu erarbeiten, das jedes Mitgliedsland zu einem 30 Prozent niedrigerem Lebensmittelabfall als heute bis zum Jahr 2030 verpflichtet[8].

Nach Abschluss des EU-Bürgerforums wurde dann am 03.04.2024[9] vom EU-Parlament formuliert, dass die Abfälle in der Lebensmittelverarbeitung und -herstellung um mindestens 20 Prozent und im Einzelhandel, in Restaurants, bei Lebensmitteldienstleistungen und in Haushalten um mindestens 40 Prozent reduziert werden sollen. Es wurde vom Parlament auch empfohlen, dass die Kommission prüft, ob für das Jahr 2035 auch höhere Ziele von 30 bis 50 Prozent möglich sind. Die Berichterstatterin war Anna Zalewska (EKR, Polen), sie wurde auch mit der Aufgabe betraut, das neue Gesetz durch das Parlament zu bringen. Die Verhandlungen mit dem Rat werden allerdings erst vom nächsten Parlament geführt, das sich nach der Europawahl vom 6.-9.06.2024 konstituiert.[10]. Das Thema bleibt auf der Agenda der EU, ob es mit der gleichen Dringlichkeit wie bisher verfolgt, ist mit den neuen Mehrheitsverhältnissen noch nicht ausreichend abschätzbar.

Mit diesem Bürgerforum zeigte die EU, das sie auch sinnvoll Politik gestalten kann, das Thema Lebensmittelverschwendung bietet sich dazu an. Es wäre gut, wenn die EU positive Impulse zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen setzt. Von oben gesteuerte Zielvorgaben sind allerdings fragwürdig. Mehr Aufklärungsarbeit ist wichtig, ein neues Bewusstsein und nicht zuletzt marktwirtschaftliche Anreizmechanismen, die Verschwendung einzugrenzen.

Solche EU-Bürgerforen dürfen nicht als Alibi-Veranstaltung gelten, um Bürgerbeteiligung zu demonstrieren[11]. Wenn das, was von Experten bereits vorgedacht wurde, nur einer Abklärung bedarf, also einer „Verifizierung“, ob eine zufällig ausgewählte Bevölkerung solche Entscheidungen mitträgt, wäre das fragwürdig. Das wäre dann „pseudo-demokratisch“. Dann wäre zwar das Ziel gut, vielleicht der Ansatz falsch und ein bleibendes Demokratiedefizit nur kaschiert.

Lebensmittelverschwendung lässt sich nicht von oben regeln, schon gar nicht durch Rationierung, einem bewusst erzeugten Mangel. Der möglichst freie Markt mit Wettbewerb auf allen Ebenen ist grundsätzlich nicht auf Verschwendung ausgelegt. Abfall bedeutet Profitausfall. Die hohe Effizienz des Marktes ließ erst die Preise fallen. Die EU-Agrarmarktordnung, die die Überproduktion förderte, ist dagegen ökologisch fragwürdig. Sie dient auch nicht vorrangig den Konsumenteninteressen, sondern der Einnahmensicherung der Bauern. Hier wäre eine Liberalisierung anzustreben.

Auch mit der forcierten Überproduktion in der EU wurden Lebensmittel günstig. Vielleicht sogar zu günstig. Was zu billig ist, wird leichter weggeworfen[12]. Der Transport ist ebenfalls günstig. Der früher übliche Verbrauch direkt vor Ort, also vom Hof auf den Tisch, das ist im Rahmen moderner Arbeitsteilung wohl ein Wunschdenken. Die Lösung liegt also bei uns selbst. Müssen wir z.B. unbedingt ein Wasser mit wohlklingendem Markennamen aus Italien bestellen, obwohl die heimische Quelle wenige Kilometer vor Ort ist? Lebensmittelverschwendung ist also eine moralische Frage, die an unsere Selbstverantwortung appelliert.

 

Heiner Horstmann, Ulrich Horstmann, 29.08.2024

 

[1] Vgl.: Lisa Schönhaar: Eure Hipster-Ernährung könnte eine weltweite Nahrungsmittelkrise auslösen, www.businessinsider.de, 18.07.2019, download: https://www.businessinsider.de/wissenschaft/eure-hipster-ernaehrung-koennte-eine-weltweite-nahrungsmittelkrise-ausloesen-2019, abgerufen am 11.08.2024.

[2] Vgl.: Ein Drittel der Lebensmittel wird verschwendet, umweltbundesamt.de, 30.04.2022, download: https://www.umweltbundesamt.de/themen/ein-drittel-der-lebensmittel-wird-verschwendet, abgerufen am 11.08.2024.

[3] Vgl. auch: Lebensmittelabfälle in Deutschland: Aktuelle Zahlen zur Höhe der Lebensmittelabfälle nach Sektoren, www.bmel.de, 21.06.2023, https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html, abgerufen am 11.08.2024.

[4] Sohn von Ulrich Horstmann, Vorstandsmitglied im Institut Europa der Marktwirtschaft. Heiner Horstmann hat wesentliche Teile dieses Beitrags mitverfasst.

[5] Vgl.: Weniger Lebensmittelverschwendung: Welche Maßnahmen ergreift die EU?, europarl.europa.eu, 03.04.2024, download: https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20240318STO19401/weniger-lebensmittelverschwendung-welche-massnahmen-ergreift-die-eu, abgerufen am 29.08.2024

[6] Das erste und das letzte fand in Brüssel statt (16.-18.12.2022, 10.-12.02.2023), das zweite wurde online durchgeführt (20.-22.01.2023), vgl. https://citizens.ec.europa.eu/european-citizens-food-waste-panel_en, abgerufen am 29.08.2024.

[7] Es gibt eine Reihe anderer EU-Bürgerforen gleichen Formats, z.B. zu „Hass in der Gesellschaft“, vgl. https://citizens.ec.europa.eu/european-citizens-panels_de, abgerufen am 29.08.2024.

[8] Hier Links zu weiteren Ressourcen und Aufzeichnungen der Sitzungen: https://webcast.ec.europa.eu/european-citizens-panel-on-food-waste-session-1-22-12-16, https://webcast.ec.europa.eu/european-citizens-panel-on-food-waste-session-2-20230122, https://webcast.ec.europa.eu/european-citizens-panel-on-food-waste-session-3-20230212, jeweils abgerufen am 29.08.2024-

[9] Hier der Abschlussbericht mit 23 Empfehlungen: Europäisches Bürgerforum zum Thema Lebensmittelverschwendung, Juli 2023, download: https://citizens.ec.europa.eu/document/download/35abda2b-9c62-46b5-b181-3dbf8e6d110f_de?filename=20234039_Food%20Waste_proof%207.pdf, abgerufen am 29.08.2024.

[10] Vgl. und zitiert aus: https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20240318STO19401/weniger-lebensmittelverschwendung-welche-massnahmen-ergreift-die-eu, abgerufen am 29.08.2024.

[11] Vgl. zur Bürgerbeteiligungsplattform: https://citizens.ec.europa.eu/index_en, abgerufen am 29.08.2024.

[12] Bei der 15. Empfehlung Bürgerforums ging es um innovativ-nachhaltige Verpackungen, s.o.. Bereits jetzt gibt es Lösungen dazu für jeden Haushalt. Eine gute und einfache Möglichkeit „Food waste“ zu vermeiden, ist mit dem Vakuumiser  der Zwilling Gruppe in Solingen möglich, vgl.
FRESH & SAVE Vakuumsysteme für Lebensmittel (zwilling.com), abgerufen am 29.08.2024.

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