Verteidigung Europas neu denken
Ein Plädoyer für eine Beschaffungsagentur ‚Agency for joint european military supply‘ AJEMS für militärische Sicherheit in Europa.
Seit einigen Jahren ist Europa zunehmend schwach und uneins. Der Krieg in der Ukraine, der sich bald jährt, zeigt es dramatisch. Sicherheits- und energiepolitisch stehen wir Europäer vor einem „Scherbenhaufen“. Zunächst zur Energiepolitik. Hier besteht – wie bei der Verteidigung – weiter ein „nationales Klein-klein“. Deutschland hat sich in der EU weitgehend abgekoppelt. Grüne Politiker wie unser Wirtschaftsminister Robert Habeck bestehen weiter alternativlos auf einen nationalen Ausstieg aus Kernkraft, Kohle, Öl und Gas. Das ist der Weg in den Blackout, der nur noch durch viele Interventionen/Hilfen unserer europäischen Partner bislang vermieden werden konnte.
Irgendwann wird die Solidarität unserer Nachbarn uns gegenüber enden. Bereits jetzt wird über die teuren und irrational anmutenden deutsche Sonderwege im EU-Ausland und in den USA nur noch der Kopf geschüttelt. Um die Versorgungssicherheit von Energie zu bezahlbaren Preisen für die inländischen Verbraucher und Unternehmen zu sichern, müssen dringend europäische Lösungen gefunden werden. Das wird von den Grünen aus naheliegenden Gründen boykottiert. Ihre Anti-AKW Politik ist die letzte inhaltliche Kontinuität seit ihrer Parteigründung. Kernkraft wird auch jetzt noch wider besseres Wissen (heutige AKW’s sind sicherer und effizienter denn je) bekämpft. Energiesicherheit ist so nicht zu gewinnen, vor allem nicht bei einem Krieg in Europa.
In Kiew gehen in diesem Winter die Heizungen und Lichter aus. Es fällt schwer, solche Bilder ohne Trauer und Wut zu ertragen. Für uns zeigt sich dabei mehr denn je: Energiesicherheit und militärische Verteidigung sind existentiell wichtig und sie gehören zusammen. Es sind Kernaufgaben Europas und nicht mehr nur der Nationalstaaten, die teilweise – so wie insbesondere Deutschland – falsch und hilflos agieren.
Auch der militärische Blackout droht. Russland ist ökonomisch viel stabiler als gedacht. Trotz hoher eigener Verluste an Menschenleben, ca. 100.000 russische Soldaten sollen gefallen sein, wird der Krieg unter Putins Führung unerbittlich fortgeführt. Darauf müssen wir uns einstellen. Mehr denn je sind Lösungen gefragt, bisherige Schwächen der EU zu überwinden. Im militärischen Bereich sind die Grünen sogar eher Hardliner geworden. Anton Hofreiter beispielsweise ist zu einem Kenner schwerer Waffen mutiert. Nun ist die Lage ja wirklich ernst, sogar sehr ernst. Es fehlt aber nach wie vor die europäische Perspektive.
Wir plädieren für eine europäische Agentur für militärische Beschaffung. Die Gründe sind u.E. offensichtlich. Es gibt drei Hauptgründe: Politisch, militärisch und wirtschaftlich.
Politisch: Eine gemeinsame Beschaffung schafft eine gemeinsame politische Haltung Europas in Konfliktsituationen. Die europäischen Staaten können nicht mehr auseinander dividiert werden – wie z.B. von Putin. Diese europäische Agentur wirkt wie eine politische Klammer für Europa.
Militärisch: Wenn für jede Waffengattung technisch einheitliche Geräte entwickelt und einsatzbereit sind, fördert das die militärische Leistungsfähigkeit Europas, weil die Geräte und dazu ausgebildeten Mannschaften miteinander austauschbar sind.
Wirtschaftlich: Wenn die gemeinsamen Beschaffungen beispielsweise zu einer Verdoppelung der Stückzahlen führen, halbiert sich der Anschaffungspreis. und Einkaufskonditionen können gegenüber der Rüstungsindustrie wirksamer durchgesetzt werden.
Wir brauchen ein gemeinsames Kompetenzzentrum. Eine gemeinsame Beschaffung wurde bei den Corona-Impfungen zur Dämpfung der Kosten organisiert. Warum nicht auch bei der Rüstungsbeschaffung? Es geht uns nicht um die Bildung eines starken militärisch-industriellen Komplexes, im Gegenteil. Die Macht der Rüstungsindustrie war immer dann in der Geschichte schädlich, wenn die Industrie stärker war als der beschaffende Staat oder sich die nationale Industrie mit dem beschaffenden nationalen Staat zu eng verbündete. Wir brauchen nicht nur an die Rolle von Firmen wie die Friedrich Krupp AG erinnern, die typische Eigeninteressen verfolgte. Auch den militärisch-industriellen Komplex in den USA sehen wir kritisch, das ist u.E. auch nicht der Weg für Europa. Zwar ist nach langwierigen Verhandlungen der Bau eines militärischen Kampflugzeuges gesichert worden und Rüstungskonzerne wie Dassault und Airbus werden profitieren, der Weg ist aber trotzdem noch nicht konsequent genug zu Ende umgesetzt: es muss eine gemeinsame europäische Beschaffungsagentur eingerichtet werden.
Die Rüstungsindustrie will in erster Linie Aufträge, liefert oft nur zeitverzögert, viel zu schlechtes Gerät überteuert ab. Durch die Monopolisierung ihrer Angebotsstellung in den kleineren nationalen Absatzräumen muss der Steuerzahler zu viel zahlen und erhält (wenn es schlecht läuft) nicht mehr Sicherheit, sondern immer mehr Abhängigkeit von der Rüstungsindustrie.
Europa erlaubt sich viel zu viel nationalen Schnick-Schnack beim Militärgerät. Jeder Staat hat seine für die Beschaffung verantwortlichen Stellen. Die oft sehr kostenaufwändigen Sonderlösungen, dies beweist der aktuelle Schützenpanzer Puma, basieren auch auf unrealistischen Anforderungen. Die Vergabepolitik sollte daher an militärischen Anforderungen, die nur die Experten kennen, ausgerichtet werden. Einheitliche Typen und Normierungen sollten den Vorrang haben, nicht die Sonderwünsche mancher Politiker, die Klientelinteressen bedienen. Es sollte daher auch international eingekauft werden können ohne Rücksichtnahme auf die „eigene“ Wehrindustrie. Die Anforderungen der Streitkräfte entscheiden, nicht die privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen. Sie wollen auch noch von lukrativen Langfristwartungsaufträgen profitieren. Je komplexer und störungsanfälliger die Elektronik, desto besser sind sie im Geschäft, wenn man sie lässt.
Sicherheit umfasst heute mehr als nur die Beschaffung von Munition, Panzern und Fluggerät. In Zeiten asymmetrischer Cyberkriege ist die ganzheitliche Betrachtung militärischer Abschreckung notwendiger denn je. Cybersicherheit muss europaweit gesichert werden. Die Zerstörung kritischer Infrastrukturen, wie wir sie in der Ukraine derzeit erleben, zeigt die veränderte Gefahrenlage. Die entscheidende Frage wird am Ende aber sein, wer die Kompetenzkompetenz für die neue europäische Beschaffungsagentur hat. Unseres Erachtens sind hier nach wie vor die Nationalstaaten gefordert.
Wenn eine politische Union wirklich gewollt ist, muss auch die Verteidigung europäisiert werden. In einer Beschlussvorlage müsste zunächst einem europäischen Militär- und Sicherheitsexperten-Team zugestimmt werden. Vertreter Großbritanniens sollten ausdrücklich mitvertreten sein, da das Land Atommacht ist und einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung Europas leisten kann. Auch sollte die Integration der neuen europäischen Beschaffungsagentur in die NATO-Strukturen erfolgen und damit die NATO selbst nicht in Frage stellen, allenfalls ergänzen. Der Sitz der Agentur in Brüssel ist daher naheliegend. Ganz zentral ist, dass keine Militärlobbyisten, sondern nur ausgewiesene militärische Sicherheitsexperten für die Arbeit der Agentur in Betracht kommen. Jeder europäische Staat wählt einen Vertreter aus, die Atomstaaten UK und Frankreich jeweils bis zu drei Personen. Ob Deutschland auch drei Vertreter entsenden kann, ist angesichts des mangelnden deutschen militärischen Beitrags noch zu prüfen. Ggfls. sind nur zwei Sitze in der neu zu schaffenden Agentur in der EU und NATO konsensfähig. Auch die anderen größeren EU-Staaten (mehr als 25 Mio. Einwohner) sollten zwei Vertreter schicken können. Es gilt dann bei allen Entscheidungen das Mehrheitsprinzip. Die nationalen Beschaffungsämter sind an die Weisungen der Agentur gebunden. Sie sind innerhalb einer Frist von bis zu vier Jahren (je nach Legislaturperiode in den nationalen Staaten) aufzulösen.
Das wirkt jetzt sehr zentralistisch. Wir sind jedoch der Meinung, dass die Sicherheitspolitik (und Energiepolitik) einer klaren grundsätzlichen europäischen Führung (bei einer Ausführung im Detail) bedarf. Föderale Strukturen versagen, wenn es um staatsübergreifende Netze und die notwendigen Kooperationsanforderungen auf allen unteren Ebenen geht. Verteidigung wird auch immer wieder vor Ort stattfinden und kreative Lösungen verlangen, auch dies zeigt sich in der Ukraine. Ohne die Starlink-Satelliten von Elon Musk wäre die Abwehr aber nicht so effizient. Solche privatwirtschaftlichen Initiativen, so gut sie im Einzelnen sein mögen, bedürfen einer demokratischen Kontrolle und einer zentralen Beschaffungspolitik und operativen Führung in Europa.
Die zersplitterten Strukturen der Streitkräfte durch nationale Egoismen müssen endlich überwunden werden. Dies ist existentiell notwendig, auch um die europäische Idee glaubwürdig abzusichern. Die Westalliierten standen im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler zusammen, gemeinsam mit den Westdeutschen dann auch gegen Stalin und seine Nachfolger, die die Freiheit Westeuropas gefährdeten. Die russische Gefahr einte uns auch, Konrad Adenauer wies eindringlich auf die Gefahren hin. Heute sind die Herausforderungen größer denn je.
Eine europäische Friedensordnung ist u.E. nur möglich, wenn sich Europa glaubwürdig verteidigen kann. Dazu kann die geforderte Agentur u.E. bestens beitragen. Es müsste auch wieder die frühere Militärdoktrin Konrad Adenauers zur Anwendung kommen, wenn wir nicht gemeinsam untergehen wollen.
Konrad Adenauer plädierte bereits am 7. Februar 1952 im Deutschen Bundestag für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft: „Wir wollen den Frieden und die Freiheit, wir wollen keine Knechtschaft und keine Sklaverei, wir wollen Frieden und Freiheit für uns und für Gesamtdeutschland. Und nach meiner festen Überzeugung und nach der Überzeugung eines jeden Deutschen, der die Dinge unvoreingenommen betrachtet, gibt es vor dieser konsequent fortgeführten Politik des totalitären Sowjetrusslands nur eine Rettung für uns alle, uns so stark zu machen, dass Sowjetrussland erkennt, ein Angriff darauf ist ein großes Risiko für Sowjetrussland selbst. Und das ist das Ziel des Ganzen. Das ist unsere Absicht, das wollen wir mit der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, das wollen wir mit der Verbindung und dem späteren Eintritt in den Atlantikpakt. Wir wollen endlich Ruhe und Frieden haben vor dem Drang und den Angriffen aus dem Osten. Ich habe Seiten der englischen Regierung die Mitteilung bekommen, dass sie dem Projekt der europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit vollster Sympathie gegenübersteht, und dass sie alles tun wird, um eine möglichst enge Verbindung zwischen Großbritannien und der europäischen Verteidigungsgemeinschaft herbeizuführen. Und wenn so das gesamte freie Europa sich einigt, und wenn es zusammen dann geht mit den Vereinigten Staaten, dann retten wir alles das, was uns teuer ist, die Freiheit und den Frieden.“ Ersetzen sie bitte den Begriff Sowjetrussland durch Russland oder Putin. Mit dem Atlantikpakt ist die Nato gemeint. Ähnlich wie einst Stalins und Hitlers Verbrechen die europäische Gemeinschaft und ihre Werte formten, so müssen wir uns heute angesichts der neuen Bedrohungslage neu auf unsere Stärken besinnen.
Wir müssen abwehr-, aber auch verhandlungsbereit bleiben. Eine europäische Beschaffungsagentur entspricht in zeitgemäßer Form dem, was Adenauer bereits 1952 vordachte, aber so nie verwirklicht wurde. Die europäische Verteidigungsgemeinschaft ist wichtiger denn je und darf einer gemeinsamen Führung. Sonst wird Westeuropa kopflos. Die Nato ist erfreulicherweise nicht hirntot, wie der französische Präsident Emanuel Macron besorgt feststellte. Sie darf sich aber nicht allein auf die US-Amerikaner verlassen, sondern muss kraftvoll und einig agierende europäische Streitkräfte im Rahmen einer gemeinsamen militärischen Beschaffungsagentur umsetzen. Sonst wird Europa wieder, wie schon so oft, ein Spielball totalitärer Imperialisten. Nie waren eine gemeinsame europäische Verteidigung und die Schaffung einer nachhaltigen europäischen Friedensordnung wichtiger.
IEM Team