Ludwig Erhard wird zu Recht wieder entdeckt, weil wir durch Corona-Regularien politisch, gesellschaftlich und nicht zuletzt wirtschaftlich in eine zunehmend dirigistische Sackgasse geraten sind. Viele Fehlentwicklungen wie z.B. das zunehmende „Kesseltreiben“ gegen Andersdenkende, das Hineinregieren in die Wirtschaft, zu hohe dirigistische Energiepreise und Steuern, Ruinieren der Selbstständigen und Kulturschaffenden, durch übertriebene, sinnlose, undifferenzierte bürokratische Gängelungen werden zu wenig hinterfragt.
Wo bleiben die Freiheits- und Grundrechte? Der Staat greift rücksichtslos ein, Wissenschaftler und Bürokraten erhalten Macht, die schwer ihnen wieder abzuringen sind. Die Corona-Pandemie Regularien könnten für politische Experimente missbraucht werden. Statt dies kritiklos hinzunehmen, versuchen wir vom Institut Europa der Marktwirtschaften, eine zeitlose und wertefundierte Ausrichtung unseres ordnungspolitischen Kompasses sicherzustellen. Gerade dann wird erkennbar, dass es zunehmend Reformbedarf gibt. So stehen heutige populistische und demokratiefeindliche Autokraten allerorten im deutlichen Widerspruch zu Ludwig Erhards freitheilichen, demokratischen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen.
Die Integration der neuen Bundesländer in Deutschland kann sich nicht auf Erhard berufen. Sie ist bis heute nicht zufriedenstellend gelungen. Dies zeigen die Wahlerfolge der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ und der AfD. Die Bürger sind unzufrieden und fühlen sich von ihren Politikern, die zunehmend die Bodenhaftung verloren haben, nicht mehr verstanden. Gerade die Unionsparteien CDU und CSU sind gefragt, die Weichen hier wieder richtig zu stellen. Erhard’s Politik darf kein Lippenbekenntnis sein, es sollten endlich wieder Taten folgen. Es bleibt sogar zu fragen, ob Erhards Lehren auch von den Funktionären dieser Parteien heute immer vorsätzlicher fehlinterpretiert werden? Unser Wirtschaftsminister Peter Altmaier wird mit der Machtausweitung des Staates durch die Corona-Pandemie inzwischen schon als „Anti-Erhard“ bezeichnet (Quelle: Spiegel).
Zur Bewältigung der Corona-Pandemie setzen unsere führenden Politiker auf einen allmächtigen Staat mit all seinen Sanktionsmitteln. Der neue zentral gesteuerte Kanzler*Innen-Dirigismus überzeugt nicht. Die Kompetenz der Länder wird immer schonungsloser ausgehöhlt. Corona wurde zur Sache der Chefin, die so die Zügel wieder in die Hand bekommt und die Ineffizienzen als Kollateralschäden in Kauf nimmt. Angesichts immer neuer Regeln, einer nicht bürgerfreundlichen Digitalisierung, technischen Mängeln beim Distanzunterricht an den Schulen, Ausgangssperren und Mängeln bei der Impfstoffbereitstellung wurde viel Vertrauen verspielt. Die ständige Kontrolle der zunehmend gegängelten Bürger führte zu Vermeidungsverhalten. Ludwig Erhard hätte sicher mehr auf die Eigenverantwortung der Bürger, Anreize zu ihrem solidarischen Verhalten in der Krise und Lösungen vor Ort, vor allem an den Brennpunkten des Infektionsgeschehens wie z.B. Altersheimen (wie z.B. in Tübingen) gesetzt.
Die Bundestagswahl im September 2021 wird insofern eine freiheitliche Richtungsentscheidung sein. “Eigenverantwortung oder Dirigismus?” Es geht nicht um vermeintlich vorübergehende Phänomene der Pandemie Bekämpfung oder des Zeitgeistes, sondern um die Frage, ob wir eine grundlegende Transformation zu einer digital gesteuerten, grün verpackten Rationierungsgesellschaft zulassen. Die Corona-Pandemie war dann vielleicht nur eine Spielweise, um eine solche „semitotalitäre Systemtransformation“ (Max Otte) zu ermöglichen. Bleiben wir bei ihren Bürgern und ihren demokratischen Grundrechten, die sie jetzt mehr denn je nutzen sollten. Setzen wir wieder auf die Marktwirtschaft und nicht auf eine Verstaatlichung aller Lebensbereiche!
Sind unserer Parteienfunktionäre noch Vertreter des Volkes? Ludwig Erhard fühlte sich, wie vielfach zu belegen ist, dem Volk, auch den so genannten einfachen Leuten viel mehr verbunden, als den Funktionären, die vermeintlich für die Interessen des Volkes eintreten. Sie werden so zu Leistungsempfängern entwürdigt und gegängelt. Diese Knechtschaft wollte Erhard überwinden, Mut machen und den Aufstieg ermöglichen. Ludwig Erhard dachte Gesellschaft von unten her und eben nicht staatlich gelenkt von oben. Staatliche Wachstumsvorgaben lehnte er wie Kartelle ab. Eine freie Wirtschaft ohne Pfründe war für ihn auch sozial. Eine florierende Marktwirtschaft ist deswegen die sozialste, weil sie es der Mehrzahl der Bürger ermöglicht, ihr Leben eigenverantwortlich, ohne Unterstützung des Staates selber zu meistern. Erst, wo das gar nicht geht, hat der Staat einzuspringen. Ein jedes Mehr darüber hinaus, ist volkswirtschaftlich nicht zu verantworten, so Ludwig Erhard.
Der freiheits- und demokratiefeindliche Kollektivismus hat, wie sich zeigte, geschichtlich versagt, wir sollten ihn auf Umwegen nicht neu ermöglichen. Das ist das Credo, das wir mit Luise Gräfin v. Schlippenbach teilen. Sie berät uns und wird in diesen Tagen 99 Jahre alt. Gräfin Schlippenbach war Pressereferentin bei Ludwig Erhard und ihre klaren Statements sind zeitlos. Mit ihr und vielen anderen Autoren haben wir 2015 das Büchlein „Ludwig Erhard jetzt“ erstellt. In dem Schlusswort von Luise Gräfin v. Schlippenbach kommt ihre jahrzehnter Erfahrung und Kenntnis auch der unverfälschten Lehre der Sozialen Marktwirtschaft von Ludwig Erhard zum Ausdruck:
„Trotz markanter Beispiele, wie die durch falsche Wirtschafts- und Sozialpolitik verursachten Zusammenbrüche der russischen Föderation, der DDR und vieler anderer, hoffen die Menschen immer wieder – solange die Welt besteht – dass das „süße Gift der linken Illusion“ gegen alle Ratio doch der „heilende Balsam“ sein könne zu mehr Menschlichkeit, weniger Arbeitsbelastung, weniger Kapitalmarkt, Verzicht auf Stress und Sparen, damit die „Wirtschaft den Menschen diene und nicht der Mensch der Wirtschaft“. Gerechtigkeit, „Einer für Alle, Alle für einen“, die Solidar-Gemeinschaft, und alles das, ermöglicht durch einen starken Vater Staat. Doch immer war das Ende: Schulden, Zusammenbruch der Volkswirtschaft, Fiasko.
Unbezahlbar: Der Versorgungs-Staat. Doch sehr wohl bezahlbar ist der christlich-humane Sozialstaat mit seinen von Adenauer und Erhard gesetzten Grenzen. Müssen aber nicht alle Appelle an die Vernunft scheitern? Oder gibt es doch noch ein Erwachen, den Willen, umzudenken? Auch und ganz besonders für unsere Kinder und Enkel in der Verantwortung für nächste Generationen, für mehr Generationengerechtigkeit in Europa und – wie Erhard hoffte – in der gesamten westlichen Welt? Wieder eine Illusion oder ist Erhard ein Visionär?“
Stephan Werhahn, Leiter des IEM und Dr. Ulrich Horstmann, IEM-Vorstandsmitglied und Autor des Buches „Zurück zur sozialen Marktwirtschaft“ (2014) Beide Verfasser waren Mitautoren beim Buch „Ludwig Erhard jetzt“ (2015) und „SOS Europa“ (2016, jeweils erschienen beim FinanzBuch Verlag in München)